
Meine Lebenserinnerungen von Heinrich Kruse.
Er verbrachte seine Kindheit auf dem Hof Brun zu Jeddeloh. Sein Vater Johann Kruse hatte den Hof von 1919 bis 1951 gepachtet.
1917 - Mein Geburtsjahr!
Noch regierte Kaiser Wilhelm II.
Mein Vater war während der Geburt seines jetzt vierten Kindes als Soldat im Ersten Weltkrieg an der Westfront im Einsatz.
Sieben Jahre später. Die Großfamilie war komplett. Am Essenstisch der Bauerei in Jeddeloh I saßen neben meinem Vater, als absolutem Familienoberhaupt, meine Mutter und inzwischen 9 Kinder, dazu kamen noch drei Knechte und zwei Mägde.
Nun lebten wir in der Weimarer Republik. Von den Problemen dieser Zeit, der Inflation, spürten wir Kinder nichts. Für uns hatte alles seine Ordnung. Das hieß z.B. Samstag war Badetag. In der Küche wurde die Zinkwanne aufgestellt, das heiße Wasser mit Eimern aus dem Spieker geholt und dann ein Kind nach dem anderen, mit dem jüngsten beginnend, abgeschrubbt. Anschließend bekamen wir saubere Wäsche, die für die folgende Woche reichen musste.
Ich schlief mit 3 Brüdern in einem Zimmer, an dessen Wänden im Winter Eis glitzerte. Am Sonntagnachmittag ging es manchmal mit dem Pferdewagen oder der Kutsche zwei spännig auf Verwandtenbesuch. Abends, im Dunklen, die Sandwege nur durch den Schein der Kerzen in den Wagenlaternen erhellt, kehrten wir heim.
Auch die Ferien wurden bei Verwandten verbracht. Immer zwei durften für zwei Wochen zu Tante Alma nach Grabstede. Sie nahm uns zusätzlich zu ihren eigenen zehn Kindern auf.
1923 begann für mich die achtjährige Volksschulzeit. Die erste Klasse bestand aus mir und zwei Mädchen. Die Abwesenheit der Männer während des Krieges zeigte ihre Folgen. Der Unterricht erfolgte mit je vier Jahrgängen in einem Klassenraum. Der Hauptlehrer, eine Respektsperson im Dorf, war sehr streng. Die Prügelstrafe gehörte dazu. War kein Stock mehr da, musste der Übeltäter selbst einen neuen vom Nussbaum im Schulgarten holen.
Zur Aufbesserung seines Gehaltes betrieb der Lehrer nebenher eine kleine Landwirtschaft mit zwei Kühen und Schweinen, und er hatte einen großen Garten. Ältere Schüler mussten da auch schon mal helfen.
Während wir in der Nachbarschaft der Schule wohnten, mussten viele andere Schüler täglich weite Strecken laufen. Bis zu vier Kilometer gingen manche auf schlechten Wegen in Holzschuhen, im Sommer Barfuß, täglich zur Schule. Schuhe wurden nur zu besonderen Anlässen getragen, Strümpfe nur im Winter. Ein Höhepunkt im Schuljahr war der jährliche Ausflug mit geschmückten Pferdewagen zu einem Ausflugslokal oder Tierpark mit Spielplatz.
Weil wir Kinder noch nie im Auto oder Bus gefahren waren, durften wir einmal, für 10 Pfennig, von der Haltestelle-Gasthof Bunjes bis zur nächsten Haltestelle beim Kaufmann Kreye mit dem Postbus mitfahren. Etwa 600 Meter! Ein Erlebnis, das ich bis heute nicht vergessen habe.
Mit zunehmendem Alter wurden wir in den Arbeitsalltag der Bauerei mit einbezogen. Hacken, Unkraut jäten, Heuernte, Garben binden bei der Getreideernte, Kartoffeln auflesen in den Herbstferien, die deshalb auch Kartoffelferien genannt wurden, Vieh füttern und melken. Aber auch Vieh zählen, Kühe hüten auf nicht eingefriedeten Flächen, Kiebitzeier sammeln und Wasser in den Viehtränken auffüllen. Es gab genug zu tun.
Mein Vater war Hengsthalter. Auf dem Hof hatten wir eine Deckstation und der ganze Stolz meines Vaters war der Hengst.
Im Frühjahr mussten wir Kinder die ersten noch weichen Disteln stechen. Vater zerhackte sie, schlug noch ein Ei dazu. Mutter durfte davon nichts wissen- und fütterte damit den Hengst. Die ersten Vitamine des Jahres.
Allabendlich war es unsere Aufgabe, die Enten vom Teich zu scheuchen und im Stall einzusperren, damit sie nachts die Eier nicht irgendwo ins Gelände legten. Vor allem im Sommer eine mühselige Aufgabe, die Enten wollten und wollten nicht. Im Frühjahr wurde der Torf zum Heizen gestochen. Mit der Karre wurde er zum Trockenplatz gebracht und dort ausgebreitet. Nach einigen Wochen wurden die Soden zum weiteren Trocknen ringförmig aufgestapelt, um schließlich in großen Mieten gelagert zu werden. Auch hierbei mussten wir helfen.
Trotzdem blieb uns genügend Zeit zum Spielen. Gekauftes Spielzeug war dabei die Ausnahme, die Fantasie war gefragt. In den Schulpausen spielten wir gerne Schlag- und Mützenball und natürlich mit Knickern (Murmeln).
Des einen Leid war des anderen Freud. Zu Beerdigungen wurde der Sarg mit dem Verstorbenen auf einem von Pferden gezogenen Leichenwagen von der Wohnung des Toten zum Friedhof der Gemeinde in Edewecht gebracht. Die Trauergemeinde folgte dem Wagen zu Fuß. Zog der Trauerzug an unserem Hof vorbei, fegten wir Kinder kurz vorher die Straße. Dann verzierten wir sie mit weißem Sand und schmückten sie je nach Jahreszeit mit Blüten und Blättern.
Auf Grund meiner schulischen Leistungen schlug mein Lehrer meinen Eltern vor, mich nach Abschluss der Volksschule zur Aufbauschule nach Oldenburg zu schicken. Nach bestandener zweitägiger Aufnahmeprüfung erklärten meine Eltern sich bereit, das Wagnis „Höhere Schule“ einzugehen. Schließlich sollten es ihre Kinder einmal besser haben und nicht alle sollten Bauer werden. Aber wie sollte ich nach Oldenburg hinkommen? Mit dem Postbus auf der Strecke Friesoythe Oldenburg erreichte man die Schule zu spät. Mit dem Zug ab Edewecht über Bad Zwischenahn musste man schon um sechs Uhr morgens im vier Kilometer entfernten Edewecht sein. Blieb nur die Möglichkeit, die fünfzehn Kilometer nach Oldenburg mit dem Fahrrad zu bewältigen. Und so fuhr ich als Vierzehn- Fünfzehnjähriger täglich mit einigen anderen Jugendlichen aus Edewecht nach Oldenburg zur Schule. Aber das nicht auf einem gut ausgebauten Fahrradweg, sondern auf einem Sandpadd neben der Klinkerstraße. Kam ich gegen fünfzehn Uhr nach Hause, fand ich mein Essen, gut in Zeitung verpackt, im Bett. Meine Mutter hatte es dort warm gestellt.
Erfreulicherweise wurde einige Zeit später eine private Busverbindung nach Oldenburg eingerichtet. Einmal in der Woche führte der Busbesitzer einen Anhänger mit Ferkeln mit, die er in der Stadt verkaufte, während wir in der Schule waren.
Nach Beendigung der Schulzeit begann ich bei einem Rechtsanwalt in Oldenburg eine Verwaltungslehre. Da die Arbeitszeit bis neunzehn Uhr ging, blieb mir für die Fahrt nur noch das Fahrrad. Es war schon eine Belastung, besonders im Winter bei Dunkelheit.
Wir lebten nun im Dritten Reich.
Nach Abschluss der Lehre wartete auf mich bereits der Reichsarbeitsdienst und in direktem Anschluss daran bis Kriegsbeginn meine zweijährige Wehrpflichtzeit.
Während ich den Ersten Weltkrieg noch im Kinderwagen erlebt hatte, durfte ich den Zweiten Weltkrieg in voller Länge an verschiedenen Fronten bis zum bitteren Ende mitmachen.
Diese ganze Prozedur für das „geliebte Vaterland“ dauerte für mich insgesamt achteinhalb Jahre. Erst nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft mit etwa neunundzwanzig Jahren konnte ich in dem zerstörten Deutschland an den Aufbau einer beruflichen Existenz und der Gründung einer eigenen Familie denken. Nun in der Bundesrepublik, mit der D-Mark statt der Reichsmark in der Tasche.
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